Ein feministischer Roman

Die Konkurrentin

Neben allen bisher angesprochenen Themenkomplexen präsentiert Christa Wolf in ihrem Roman auch eine starke Frauenfigur, die gegen ein patriarchalisches Gesellschaftssystem aufbegehrt.

Medea tritt in Korinth als eine Fremde auf und wird dort nie voll akzeptiert, dennoch bewirkt sie bei den korinthischen Frauen ein kritisches Nachdenken über die korinthischen Männer: ”Die Frauen, nun ja. An manchen konnte man eine merkwürdige Lust beobachten, mit den Fremden zusammenzuhocken, als sei ein Zwang von ihnen genommen. Die nachdenklich distanzierten Blicke, mit denen sie anfingen, ihre Gatten zu mustern” (S.112).

Alle Männer in Korinth, gleich in welcher Stellung, gleich, wie stark sie sich wähnen, scheitern an ihren Frauen. Als Keim dieser männerseitigen Problematik tritt Medea auf. Die starke Medea verunsichert die unsicheren, schwächeren Männer in ihrem eigenen Selbstbild und ihrem Geschlechterrollenverständnis. Für sie ist Medea nicht mit ihrem Bild der Frau in Einklang zu bringen.

Die stärkeren Männer, wie Kreon oder Akamas, sehen in ihr eine Konkurrentin. So wird etwa Akamas in seiner vorher unangefochtenen Position durch Medeas Verhalten angegriffen (S.64). Die durch Medea empfundene Bedrohung münzt Akamas um, indem er sie als ein politisches Opfer inszeniert und zum Sündenbock für alle Krisen in Korinth macht. Damit schafft er zum einen Medea als Konkurrentin aus dem Weg, zum anderen baut er seine Macht weiter aus.

Gewalt und Verunsicherung

Auch Jason, der sich einst in Medea verliebt hat und sie zur Ehefrau nahm, hat Probleme mit Medeas Forderung nach Gleichberechtigung und hält im Allgemeinen nichts von emanzipierten Frauen: “Wir fanden es eigentlich übertrieben, wie die Kolcher ihre Frauen hielten, als hinge von ihrer Meinung und ihrer Stimme etwas Wesentliches ab“ (S.55f.).

Radikaler Ausdruck dieser Haltung sind sicherlich auch die sexuellen Übergriffe auf Medea (S.25, 207f.). In diesen Momenten behauptet sich Jason als gewalttätiger Mann und degradiert Medea zu seiner Untertanin, die gezwungen ist, zu gehorchen. Sodann lässt er sich auch von Akamas und Kreon negativ beeinflussen (S.56).

Leukon geht an der Tatsache zugrunde, dass er seine eigene Feigheit erkennt, aus der seine Ohnmacht resultiert (S.153, 213). Dennoch sieht er als Schuldige immer die Frau, denn „was gab dieser Frau das Recht, uns vor Entscheidungen zu stellen, denen wir nicht gewachsen sind, die uns aber zerreißen und uns a...

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