Nächstenliebe und Scheinmoral

Nachdem an der Viehbörse ein Tumult ausgebrochen ist und nichts mehr verkauft wird (Szene 5), schlägt Johanna das vor, was heutzutage als ein Weg zur sozialen Marktwirtschaft ausgelegt werden könnte: Schließlich seien die Arbeiter doch die Endnutzer der hergestellten Waren; gehe es also den Arbeiter (auch finanziell) besser, steige ihre Kaufkraft, somit erhöhe sich wiederum die generelle Nachfrage und in letzter Konsequenz folglich der Absatz der Fleischfabrikanten. Johanna setzt auch diese Vorstellung mit der christlichen Nächstenliebe gleich: „Betrachten Sie doch einmal den Dienst am Nächsten einfach als Dienst am Kunden!“ (S. 52)

Johanna versucht, gegenüber den Fleischfabrikanten Wohlstand für alle als Gewinn für alle anzupreisen. „Was heißt denn Service anders als Nächstenliebe?“, fragt sie, ihrer eigenen Logik folgend (S. 52). Brechts Stück jedoch macht auch hier deutlich, dass Johannas Denken wieder einmal von Naivität geleitet ist und erneut zu kurz greift. Denn die Vertreter der Chicagoer Fleischindustrie – allen voran Pierpont Mauler – vertreten lediglich eine Scheinmoral. Diese sind für Appelle wie den Johannas, den Service als Nächstenliebe zu begreifen, nur oberflächlich empfänglich, während sie unter der Oberfläche nach wie vor einzig auf den Profit schielen.

Konkret macht Johannas Argumentation es den Fa...

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