Historischer Hintergrund und Historisierung
Georgien um 1944
Wie der Titel bereits verrät, verlegte Brecht die Handlung des »Kaukasischen Kreidekreises« in den Kaukasus, genauer formuliert in die Umgebung rund um die Stadt Nukha. Diese gehörte während der Entstehungszeit zu Georgien und liegt heute im Westen von Aserbaidschan. Ebenfalls im Stück wird die nahegelegene Stadt Tiflis erwähnt, die damals wie heute Hauptstadt Georgiens ist. Darüber hinaus spielen einige Szenen in dem nördlich davon gelegenen Gebirge.
Obwohl die Rahmen- und d…
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Brechts politische Einstellung
Im Bezugsrahmen der Sowjetunion spiegelt sich Brechts marxistische Einstellung wider. So schuf der Dramatiker im ersten Akt die Utopie eines sozialistischen Gesellschaftsmodells: Die Faschisten wurden besiegt und eine neue, friedliche Zeit beginnt. Die Kolchosen lösen den Streit um das Tal auf vernünftige Art und Weise, indem sie zum Wohl der Gemeinschaft handeln. Ihr idealtypisch-kommunistisches Verhalten grenzt sie von der kapitalistischen Klassengesellschaft und ihrer rohen Marktwirtschaft ab.
In der Binnengeschichte ist der historische Hintergrund ein ganz anderer und nicht halb so idyllisch. Die Handlung spielt in „alter, in blutiger Zeit“ (S. 15), ohne jedoch ein näheres Datum anzugeben. In dieser rohen Welt regiert ein mächtiger Despot, der von konkurrierenden Fürsten gestürzt wird. Seine Frau ist egoistisch und materialistisch eingestellt.
Das einfache Volk hat unter den politisc…
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Georgien „in alter Zeit, in blutiger Zeit“ (S. 15)
Viele Werke Brechts sind für den historischen Hintergrund ihrer Handlung bekannt. Berühmte Beispiele sind das im Dreißigjährigen Krieg spielende Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1939) sowie das Theaterstück „Das Leben des Galilei“ (1939), dessen Geschichte sich im Italien des 17. Jahrhunderts ereignet.
Auch den Hauptteil des »Kaukasischen Kreidekreises« versetzt Brecht in einen historischen Kontext. Die Binnenhandlung, welche in zwei Teilen die Geschichte der Magd Grusche und des Richters Azdak erzählt, spielt in einer fernen Vergangenheit, die lediglich als „alte, blutige Zeit“ (vgl. S. 1…
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Historisierung
Der historische Kontext der Binnengeschichte wird von Brecht nur vage umrissen und legt keinen Wert auf Genauigkeit und Reproduktion von Fakten. Vielmehr handelt es sich um ein dramaturgisches Werkzeug, das der Autor selbst mit dem Begriff der Historisierung umschreibt. Brecht will mit diesem Mittel einen Perspektivwechsel beim Publikum herbeiführen. Die Zuschauer sollen ein bestimmtes Gesellschaftssystem erkennen, das sie auf ihre eigene Situation im Hier und Jetzt übertragen können. Insofern wohnt der Vergangenheit immer auch etwas Zeitgenössisches inne.
Das Ziel der Historisierung ist darauf ausgerichtet…