Sprache
Sprache als Mittel der Verfremdung
Widerspruch und Ironie in der Sprache des Azdak
Ein charakteristisches Merkmal der Sprache Brechts ist die Verfremdung mithilfe von Paradoxie und Ironie. Auf diese Weise soll der Leser bzw. Zuschauer aus seinen Gewohnheiten herausgerissen und auf den Sinn und Gehalt hinter der Sprache aufmerksam gemacht werden.
Im »Kaukasischen Kreidekreis« betrifft dies vor allem die doppel- und hintersinnige Rede des Richters Azdak. Dass sich hinter dieser Figur ein verkappter Revolutionär verbirgt, der die Obrigkeit verachtet, wird bereits während seiner Zeit als Dorfschreiber deutlich. Als Azdak unwissentlich den Großfürsten bei sich aufnimmt, nutzt Brecht das Missverständnis als Mittel der Verfremdung.
Ohne zu ahnen, wen er vor sich hat, maßregelt Azdak seinen Gast mit den Worten „Schmatz nicht wie ein Großfürst oder wie eine Sau. Ich vertrag’s nicht. Nur einen hochwohlgeborenen Stinker muß man aushalten, wie Gott ihn geschaffen hat.“ (S. 77). Azdaks Herrscherkritik äußert sich in vermeintlichen Antithesen (unterstrichene Passagen), die jedoch aus Sicht der sprechenden Figur keinesfalls als solche zu verstehen sind.
Als Azdak unverhofft in die Justiz wechselt, wird er als „der gute schlechte Richter“ bezeichnet. Dieses Oxymoron offenbart den inneren Widerspruch des Amtes. Brecht will damit auf die Sinnwidrigkeiten des Rechtssystems aufmerksam machen. Azdak ist deshalb gut, weil er die Armen bevorteilt. Da er „für den guten Zweck“ die Gesetze missachtet und sein Amt missbraucht, ist er gleichzeitig auch ein schlechter Richter (vgl. Kapitel „Interpretation“, Abschnitt „Gerechtigkeit“).
Eine ähnliche Botschaft verbirgt sich auch hinter dem Chiasmus: „Immer war der Richter ein Lump, so soll jetzt der Lump der Richter sein.“ (S. 91). Auch hier spielt Brecht mit einem Gegensatzpaar (Richter - Lump), das nach der eigentlichen Botschaft, die hinter diesem Satz steckt, keines ist.
Dass Azdak sich selbst und sein Richteramt nicht allzu ernst nimmt, äußert sich nicht zuletzt in der Ironie seiner Sprache: „Recht muß immer vollkommen Ernst gesprochen werden, es ist so blöd. Wenn zum Beispiel ein Richter eine Frau verknackt, weil sie für ihr Kind ein Maisbrot gestohlen hat, und er hat seine Robe nicht an oder er kratzt sich beim Urteil, so daß mehr als ein Drittel von ihm entblößt ist, das heißt, er muß sich dann am Oberschenkel kratzen, dann ist das Urteil eine Schande und das Recht ist verletzt.“ (S. 87). Die Ironie offenbart, dass die Amtsregeln des zeitgenössischen Rechtssystems ebenso willkürlich sind wie die Rechtsprechung selbst.
Gegensätze zwischen Sprache und Handlung
Nicht nur die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Sprache, auch die Gegensätze zwischen der Sprache und Handlung nutzt Brecht als Mittel der Verfremdung. Auffällig ist dies vor allem an der Figur der Gouverneursgattin Natella Abaschwili. Nachdem ihr Mann von den aufständischen Fürsten hingerichtet worden ist und in der Folge alle Angestellten des Palastes fliehen, verhält sich Natella ambivalent.
Zunächst wirkt es so, als sei die Gouverne...