Rezension

Arthur Schnitzler erzählt in seiner Traumnovelle eine Episode aus dem Leben von Fridolin und Albertine. Das Ehepaar gesteht sich gegenseitig ihre außerehelichen Bedürfnisse. Daraufhin durchleben die Eheleute – real und im Traum – verschiedene Abenteuer. Indem sie ihre Wünsche und Träume ernst nehmen und in ihr Leben integrieren, können sie offen mit der Krise umgehen und sie am Ende überwinden.

Als die Traumnovelle 1926 im S. Fischer Verlag erschien, war Schnitzler bereits ein bekannter und geschätzter Schriftsteller. Seit Erscheinen der zehnteiligen Szenenfolge „Der Reigen“ (1900) galt der Dichter jedoch auch als Skandalautor. Indem er die Themen „Erotik“ und „Sexualität“ in seinen Werken verarbeitete, durchbrach Schnitzler ein Tabu.

Auch die Traumnovelle steht mit ihrem offenen Umgang mit dem Thema außereheliche Sexualität in krassem Widerspruch zur Moraltendenz des 19. Jahrhunderts. Die Intention jener Epoche war auf das Verdecken und Verstecken jeglicher Form von Sexualität ausgerichtet. Die Traumnovelle erschien vom Inhalt her wesentlich harmloser als der Reigen. Jedoch löste auch ihre Veröffentlichung Aufsehen und Empörung in der Wiener Gesellschaft aus.

Gleichzeitig waren viele positive Reaktionen bei den Rezensenten zu verzeichnen. Sie sahen in Schnitzlers Werk eine gelungene Verdichtung der psychoanalytischen Theorien. Auch Sigmund Freud hat zahlreiche Werke Schnitzlers – so auch die Traumnovelle - gelesen und ihre inhaltliche Nähe zu seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen bestätigt (vgl. Wolf Dieter Hellberg, Leutnant Gustl/Traumnovelle, S.100).

Sowohl die positiven als auch die negativen Reaktionen auf Schnitzlers Traumnovelle waren hingegen nur von kurzer Dauer: Im Gegensatz zu früheren Werken brachte die Traumnovelle, auch wirtschaftlich gesehen, keinen großen Erfolg ein. Schnitzlers literarischer Ruhm war nach dem Ersten Weltkrieg zunächst beendet. Daher hatte er bis zu seinem Tod mit Geldsorgen zu kämpfen.

Die Tatsache, dass die Traumnovelle heute wieder ein vielbeachtetes und häufig gelesenes Werk darstellt, verdankt sie nicht zuletzt dem von Schnitzler meisterhaft in Szene gesetzten Spannungsfeld: Es gelingt ihm, die Geschehnisse so zu erzählen, dass die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit teilweise verschwimmen.

Viele Rezensenten haben untersucht, ob die Traumnovelle eine dichterische Umsetzung der Freudschen Psychoanalyse sein könnte. Die Darstellung der Beziehung von Fridolin und Albertine und ihrer teilweise widersprüchlichen Gefühle lassen Schnitzlers psychologisch geschulten Blick erkennen.

Obwohl Albertines sexuelle Fantasien die Leser im 21. Jahrhundert nicht mehr überraschen können, sind die Themen der Novelle auch heute noch aktuell: Unterdrückte Sehnsüchte, Eifersucht und sexuelle Untreue sind zeitlose Probleme in den Beziehungen der Geschlechter.

Im Jahr 1999 setzte der amerikanische Filmregisseur Stanley Kubrick dem Autor mit seiner durch die Traumnovelle inspirierten Verfilmung „Eyes Wide Shut“ ein spätes Denkmal. Der Film mit Nicole Kidman und Tom Cruise in den Hauptrollen verlegte die Handlung der Traumnovelle in das moderne New York. Kubrick beweist, wie zeitlos die zentralen Motive der Erzählung sind, und verhalf Schnitzlers Novelle so zu neuer Popularität.