Albertines Traum

Die Tagesreste

Fridolin kehrt morgens um vier von seinen Abenteuern zurück und betrachtet seine schlafende Ehefrau. Diese erscheint ihm merkwürdig fremd (S.61). Er hat sich durch seine Erlebnisse innerlich von ihr entfernt: „es war ein Antlitz, das Fridolin nicht kannte“ (S.61). Er ruft drei Mal ihren Namen und auch Albertine zeigt ein ungewohntes Verhalten: „Ein Ausdruck der Abwehr, der Furcht, ja des Entsetzens trat in ihr Auge“ (S.61).   

Parallel zu Fridolins Abenteuer in der Geheimen Gesellschaft hat Albertine im Laufe der Nacht einen bedeutsamen Traum erlebt. Sie steht noch ganz unter dem Einfluss des Traumgeschehens, als Fridolin sie aufweckt.  Albertines Traum beginnt am Abend vor ihrer Hochzeit mit Fridolin. Sie sucht ihr Brautkleid und findet stattdessen orientalische Kleider und Kostüme (S.63). Dann erscheint Fridolin, der von Galeerensklaven herbeigerudert wurde (S.63).

Albertines Traum steht zunächst in Verbindung mit einem Ereignis des Vorabends: Zum Beginn der Novelle liest die Tochter der Eheleute ihren Eltern ein orientalisches Märchen vor, in dem es heißt: „Vierundzwanzig braune Sklaven ruderten die prächtige Galeere“ (S.9).

In ihrem Traum ist Albertine zudem märchenhaft „wie eine Prinzessin“ angezogen (S.63). Fridolin erscheint ebenfalls „kostbar gekleidet, in Gold und Seide...“ (S.63) und beide erleben ihre Hochzeitsnacht: „Du nahmst mich in die Arme und liebtest mich sehr“(S.64). Obwohl sie sich im Traum sehr nahe sind, empfindet Albertine ihre Zärtlichkeit als „schwermütig wie mit einer Ahnung von vorbestimmtem Leid“ (S.64).

Albertines schmerzliche Vorahnung kündigt die kommenden Ereignisse an. Gleichzeitig verweisen sie auf die Realität: Ihre Ehe mit Fridolin befindet sich aufgrund der gegenseitigen Geständnisse des Vorabends in einer Krise. Diese Verbindung des Traums mit der Wirklichkeit kann als „Tagesrest“ interpretiert werden. Sigmund Freud hat in seiner „Traumdeutung“ darauf hingewiesen, dass der Traum typischerweise oft Elemente enthält, die der Träumer kurz zuvor erlebt hat. Der Traum verwendet diese „Tagesreste“ in einem neuen Zusammenhang und verleiht ihm so eine andere Bedeutung. [1]

Albertines erotische Wünsche

In Albertines Traum müssen die Eheleute nach ihrer Liebesnacht feststellen, dass ihre Kleider verschwunden sind. Die zuvor empfundene Zärtlichkeit Albertines Fridolin gegenüber verwandelt sich ins Gegenteil. Sie empfindet „Entsetzen, Scham, Zorn“ (S.64). Ihre Wut richtet sich gegen Fridolin, den sie für den Verlust der Kleider verantwortlich macht. Dieser begibt sich in die Stadt, um neue Kleidung zu besorgen (S.64).

Albertine ist hingegen plötzlich froh, Fridolin los zu sein. Der Däne aus dem Sommerurlaub erscheint und nun erlebt sie mit ihm die Erfüllung ihrer außerehelichen erotischen Wünsche (S.66). Im Traum erfüllen sich Albertines Sehnsüchte, die sie Fridolin anfangs im Gespräch gestanden hatte (S.12). An dieser Stelle dient ihr Traum der Wunscherfüllung. Schnitzler hat hier Freuds psychoanalytische Traumdeutung verdichtet: „So offenbaren sich in Albertines Traum Wünsche, die in der Wirklichkeit ihrer Ehe keinen Platz haben,...“. [2]

Als Albertine später Fridolin ihren Traum erzählt, macht sie eine Pause (S.66). Beide Ehepartner werden von ihren Gefühlen überwältigt: „Fridolin war die Kehle trocken“ (S.66). Wie schon nach Albertines Geständnis zu Beginn der Novelle verspürt er Angst und Eifersucht. Albertine schämt sich hingegen ihrer sexuellen Begierden, die nicht auf Fridolin gerichtet sind, und schlägt die Hände vor das Gesicht (S.66).

Der

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