Charakterisierung Hauptfigur
- Eingeschränkte Sichtweise
- Titel und Namen
- Familie, soziales Umfeld und Schulgang
- Selbstwert, Neid und Aggressivität
- Das Sehen und das Gesehenwerden
- Stolze und Ehre
- Abhängigkeit vom Urteil anderer
- Die Beleidigung des Bäckermeisters
- Langeweile und Sinnlosigkeit
- Unterhaltung und Ungeduld
- Selbstentlastung und Schuldverschiebung
- Angst vor dem Tod
- Selbstbetrug
- Momente der Ehrlichkeit
- Keine Weiterentwicklung
Eingeschränkte Sichtweise
Bei der Charakterisierung der Hauptfigur ist zu bedenken, dass weder ein Erzähler noch andere Figuren eine objektive Außensicht auf Gustls Wesensmerkmale liefern. Dementsprechend fehlen auch Beschreibungen von Gustls äußeren Handlungen oder seinem Aussehen, wohingegen der Ich-Sprecher in seinem inneren Monolog einen unmittelbaren Einblick in seine momentanen Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen vermittelt.
Demnach kann der Leser lediglich aus der von Gustl vermittelten subjektiven Innensicht Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit ziehen. Von besonderer Bedeutung ist es hierbei, die oftmals unverbundenen Gedanken miteinander zu verknüpfen, um auf diese Weise die Momente des Selbstbetrugs oder die inneren Widersprüche aufdecken zu können.
Titel und Namen
Bei Leutnant Gustl handelt es sich um einen jungen Mann von 23 oder 24 Jahren (S. 27), über dessen Charakter bereits in der Titelformulierung zentrale Aspekte erkennbar werden. Vor seinem Eigennamen steht der militärische Rang, über den er sich in entscheidendem Maße definiert: Gustl ist Leutnant und damit Offizier der kaiserlich-königlichen Armee. Durch die Erwähnung seines Berufsstands wird die besondere Bedeutung hervorgehoben, welche Gustl der Zugehörigkeit zu dem militärischen Stand beimisst.
Der Leutnant wird nur mit seinem Vornamen eingeführt, der überdies ausschließlich in der Verkleinerungs- und Koseform „Gustl“ Erwähnung findet. Diese österreichische Variante des Namens „Gustav“ stammt etymologisch von dem lateinischen Namen „Augustus“ ab, der übersetzt „der Ehrwürdige“ bedeutet. Somit veranschaulicht bereits der Name die zentrale Bedeutung, die dem Motiv der Ehre in dem Text zukommt, wobei mit der Verniedlichungsform der Anspruch auf die Größe und Ehre zugleich auch wieder zurückgenommen wird.
Auf diese Weise wird schon zu Beginn der Novelle die Diskrepanz zwischen der äußerlichen Standeswürde als Offizier und seiner von Ich-Schwäche und Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Persönlichkeitsstruktur angedeutet.
Familie, soziales Umfeld und Schulgang
Gustl stammt aus einer höheren Grazer Beamtenfamilie, die aber nur über beschränkte finanzielle Mittel verfügt. Sein Vater wurde vorzeitig pensioniert und konnte Gustl folglich auch die bevorzugte Laufbahn in der Kavallerie nicht ermöglichen: „Schadʼ, daß ich nicht zur Cavallerie gegangen bin … aber das hat der Alte nicht wollen – wärʼ ein zu theurer Spaß gewesen“ (S. 32). Sein Onkel ist jedoch vermögend und hilft ihm bisweilen vor allem bei durch Spielschulden verursachten Geldnöten. Da Gustl in seiner Position als Leutnant nicht viel verdient und er überdies mit kostspieligen Affären, Ballbesuchen und Glücksspielen weit über seine Verhältnisse lebt, ist er immer wieder auf die finanzielle Unterstützung seiner Familie angewiesen.
Zu seinen Eltern hat Gustl kein sehr inniges Verhältnis, was er sich in den wenigen Momenten der Selbsterkenntnis auch eingesteht (vgl. S. 35). Die engste Bindung scheint er noch zu seiner vier Jahre älteren Schwester Clara zu haben (vgl. hierzu das Kapitel „Gustl und die Familie“).
Auch sonst ist sein soziales Umfeld von eher oberflächlichen Kontakten gekennzeichnet, zu einer wirklich tiefen Freundschaft scheint er kaum fähig zu sein. Die einzige Ausnahme bildet sein Kamerad Kopetzky, mit dem er sich etwas enger verbunden fühlt: „Wer meintʼs denn sonst gut mit mir? Außerʼm Kopetzky könntʼ ich Allen gestohlen werden … der Kopetzky ist doch der Einzige“ (S. 31).
Auch wenn die Beziehung zu seiner Familie nicht sehr innig ist, so belastet Gustl doch die Tatsache sehr, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte: Er hätte eigentlich „Oekonomie“ (Landwirtschaft) studieren und in dem Betrieb seines Onkels arbeiten sollen: „sie habenʼs ja Alle wollen, wie ich noch ein Bub war …“ (S. 30). Dieser Weg wurde ihm jedoch dadurch verbaut, dass er „aus dem Gymnasium hinausgʼschmissen“ (S. 14) wurde und demnach die Schule ohne Schulabschluss verlassen musste.
Selbstwert, Neid und Aggressivität
Leutnant Gustl lassen seine mangelhafte Bildung und der von Demütigungen durchzogene schulische Werdegang keineswegs kalt. Sie erweisen sich letztlich als mitverantwortlich für sein unzureichendes Selbstwertgefühl, das im Laufe seines Selbstgesprächs immer wieder zutage tritt: „Viel werth bist du ja nie gewesen“ (S. 38), „ist eh nicht schadʼ um mich“ (S. 33).
Zwar verfügt Gustl als Leutnant über den Zugang zu einer gesellschaftlichen Schicht, die früher ausschließlich dem Adel vorbehalten war, allerdings verfügt er aber nicht über das Selbstbewusstsein der Adelsklasse und fühlt sich demenentsprechend auch innerhalb seines Standes nicht wirklich gleichberechtigt und dazugehörig: „Mir scheint, der merkt, daß ich […] nicht hergʼhörʼ“ (S. 10). Hieraus resultiert bei ihm eine fatale Mischung aus Aufstiegsmentalität, Standesdünkel und Minderwertigkeitskomplex, die Gustls Beziehung zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen in erheblichem Maße belastet.
Gustls immer wieder zum Vorschein kommender Neid bezieht sich dabei vor allem auf jene Menschen, die in den Augen der Gesellschaft vom Leben besser bedacht worden sind.
Demnach richtet sich seine neidvolle Aggressivität zum einen gegen die Akademiker, die ihm an Bildung überlegen sind: „Und da kommt so ein Tintenfisch daher, der sein Lebtag nichts gethan hat, als hinter die Bücher gesessen, und erlaubt sich eine freche Bemerkung!“ (S. 14f.)
Zum anderen erregen neben den Einjährig-Freiwilligen, die aufgrund ihres höheren Schulabschlusses bereits nach einem Jahr zum Reserveoffiziere befördert werden (vgl. S. 20, 24), vor allem die vermögenden Juden seine Missgunst (vgl. S. 11, vgl. hierzu das Kapitel „Antisemitismus“).
Unfähig, die eigene innere Unausgeglichenheit zu bekämpfen, entlädt sich Gustls angestaute Frustration sehr häufig in Aggressivität – sei es in einem aggressiven Eroberungsverhalten gegenüber Frauen oder einem von Rivalität bestimmten Auftreten gegenüber Männern, das sich beispielsweise in dem unnötigen Drängeln an der Garderobe und seiner derben Reaktion auf die Kritik des Bäckermeisters zeigt, der ihn seinerseits zur Geduld ermahnt: „‚Geduld, Geduld!“‘ (S. 16)): „‚Sie, halten Sie das Maul!“‘ (S. 17).
Das Sehen und das Gesehenwerden
Gustls frühzeitiger Schulabgang ist mitverantwortlich für seine mangelnde Bildung, die während seines Selbstgesprächs des Öfteren zutage tritt. Besonders deutlich wird diese gleich zu Beginn der Novelle, als er sich bei seinem Konzertbesuch als gänzlich unfähig erweist, die musikalische Darbietung zu würdigen: Er kennt weder das Programm noch die Unterschiede zwischen Oratorium und Messe oder Sopran- und Altstimme (vgl. S. 9). Vor allem aber zeigt sich seine unzureichende Bildung darin, dass er sich während des Konzerts unablässig langweilt und zutiefst bedauert, das geschenkte Billett überhaupt angenommen zu haben (vgl. S. 9).
Somit ist für ihn auch nicht die Qualität der künstlerischen Darbietung entscheidend, sondern der oberflächliche Unterhaltungswert des Ereignisses: „Wenn ich denke, daß ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen. …“ (S. 9), „In der Oper unterhaltʼ ich mich immer, auch wennʼs langweilig ist“ (S. 10). Was er an den öffentlichen Kunstereignissen ebenfalls zu schätzen weiß, ist die sich hierdurch eröffnende Möglichkeit, seine soziale und intellektuelle Zugehörigkeit zu der höheren Gesellschaftsschicht demonstrieren zu können.
Demnach geht es ihm beim Theater- oder Konzertbesuch vorrangig um das äußere Phänomen des Sehens und des Gesehenwerdens, weshalb auch sein Interesse während des Konzerts weniger der Musik als vielmehr dem Beobachten der anderen Gäste im Publikum gilt: „Der neben mir klatscht wie verrückt. Obʼs ihm wirklich so gut gefällt?“ (S. 9), „Was guckt mich denn der Kerl dort immer an?“ (S. 10).
Da sich Gustl stets auf der Suche nach einem sich bietenden amourösen Abenteuer befindet, ziehen dabei vor allem die anwesenden Frauen immer wieder seine Aufmerksamkeit auf sich: „Das ...